Exhibition Project
Becoming Animal, Becoming Human
Animal Perspectives
Intro

Eine Perspektive entsteht aus der Kombination von Blick und Standpunkt. Das gilt im Grunde genommen für jedes Wesen, das Augen hat und sich seine Position nach eigenem Gutdünken auswählen kann. Folglich haben nicht nur ein großer Teil der Menschheit, sondern auch die meisten Tiere eine Perspektive.

Wie kommt es nun, dass in der Tradition der abendländischen Philosophie Tieren keine Perspektive zugesprochen wird? Weil sie unfähig seien, über ihre Position zu reflektieren, nehmen sie keinen Standpunkt ein und sind folglich nicht als Subjekte zu betrachten. Die deutsche Alltagssprache sieht das anders: Frosch- und Vogelperspektive bezeichnen Blickwinkel, die dem Menschen gemeinhin nicht zugänglich sind. Es ist die Kunst, die uns in die Lage versetzt, einen animalischen Horizont zu eröffnen. Aber ist nicht gerade die Kunst ein genuin menschliches Vermögen?

Die Ausstellung "Tierperspektiven" hat diese Widersprüche ins Visier genommen und eine Anzahl internationaler Künstlerinnen und Künstler versammelt, die sich der Frage nach den Tieren in der Kunst aus den unterschiedlichsten Richtungen nähern.

Die verwendeten Materialien und Medien – Fotografie, Bildhauerei, Malerei, Zeichnung, Installation, Video, Echtpräparate, Performance – sind genauso vielfältig, wie die Versuche, den Dialog mit einem oder vielen Tieren aufzunehmen. Lebende Tiere oder ausgestopfte, wilde und zahme, Nutztiere und Parasiten, Herden und Individuen, viele haben einen Auftritt gehabt. Als Gefährte oder Beute, gefährlicher Räuber und tröstendes Kuscheltier, Liebhaber oder Konkurrent können Tiere ebenso viele Rollen ausfüllen, wie unsere menschlichen Mitwesen. Und manches Mal erscheint uns ein tierisches Gegenüber sogar näher und verständnisvoller zu sein, als ein humanes.

Wie Künstlerinnen und Künstler versuchen, sich auf märchenhafte Weise in Tiere hineinzuversetzen, uns durch ihre Augen sehen zu lassen, welche Anstrengungen sie unternehmen, um Tiere als Partner in den Gestaltungsprozess einzubeziehen, wie sie das Miteinander der Arten dokumentieren oder auf die Geschichte von Unterdrückung, Ausnutzung und Ausrottung hinweisen – all diese verschiedenen Weisen der Annäherung hat die Ausstellung "Tierperspektiven" zusammengestellt.

Das Jahr 2009 war nicht zuletzt durch das Andenken an 150 Jahre "Origin of the Species" gekennzeichnet, jenem epochalen Werk von Charles Darwin, das die Theorie von der Evolution der Arten mit einem beobachtbaren Mechanismus belegte und so die tierische Natur des Menschen wissenschaftlich fundamentierte. In diesem Jahr erhielt die Ausstellung "Tierperspektiven" eine besondere Note, denn sie hinterfragte jenes Verwandtschaftsverhältnis auf einen neue und kreative Weise.

Die Ausstellung selbst war an mehreren Orten über den Stadtraum von Berlin verteilt und forderte die Besucher auf, zu streunen und auf diese Weise auch die animalische Präsenz in Berlin außerhalb der Ausstellungsorte mit neuen Augen zu sehen.

Die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler, teilweise Stars der Kunstszene, teilweise talentierte Newcomer, aus allen Teilen der Welt unterstützte den Ansatz der KuratorInnen, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen und so neue, tierische Perspektiven wahrzunehmen.

Begleitet wurde das Ausstellungsprogramm durch ein zweitägiges Symposium mit Vorträgen und Gesprächen von Wissenschaftlern und Künstlern, einem Videoscreening, das selten gezeigte Künstlervideos präsentierte sowie einer fünfteiligen Filmreihe im Kino Arsenal. Auf dieser Website werden das Katalogvorwort sowie ausgewählte Rede- und Filmbeiträge des Symposiums dokumentiert.